Persönliche Erklärung zur zweiten und dritten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Modernisierung des Wehrdienstes (Wehrdienst-Modernisierungsgesetz – WDModG)
Der Bundestag hat heute mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD beschlossen, eine verpflichtende Musterung für alle Männer, die ab dem 1. Januar 2008 geboren wurden, wiedereinzuführen. Zudem soll es zu einer sogenannten “Bedarfswehrpflicht” kommen, wenn sich im Anschluss daran, nicht genügend Freiwillige für den Wehrdienst melden. Diese sollen per Losverfahren ermittelt werden.
Wir haben dieses Gesetz als Grüne Bundestagsfraktion abgelehnt und mit einem Entschließungsantrag (21/3081) gefordert, eine Enquete-Kommission für gesamtgesellschaftliche Resilienz einzurichten. Ziel ist ein ergebnisoffener Diskussionsprozess darüber, wie militärische und zivile Dienstformen – freiwillige, hybride und verpflichtende – sowie weitere Formen gesellschaftlicher Mitwirkung zur Gesamtverteidigung und Resilienz beitragen können. In die Arbeit der Enquete-Kommission sollen alle Beteiligten und Betroffenen, insbesondere und maßgeblich junge Menschen einbezogen werden.
Sylvia Rietenberg hat zusätzlich zusammen mit einigen anderen Kolleginnen und Kollegen der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen eine Persönliche Erklärung nach §31 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages abgegeben. Den vollständigen Wortlaut finden Sie hier:
Die heutige Abstimmung über das Wehrdienstmodernisierungsgesetz fällt uns nicht leicht. Deutschlands und Europas Sicherheit sind bedroht. Es ist deshalb nötig, dass die Bundeswehr wieder in eine Lage versetzt wird, in der sie ohne Zweifel jeden bewaffneten Angriff auf Landes- oder Bündnisgebiet stoppen könnte, immer mit dem Ziel, dass es diesen Angriff nie geben wird. Dazu braucht es auch mehr Soldatinnen und Soldaten. Es ist deshalb richtig, die Bundeswehr attraktiver zu machen, um mehr Freiwillige zu finden. Es ist angesichts der Bedrohungslage auch richtig, die Musterung wieder verpflichtend zu machen und auch dabei jungen Leuten die Bundeswehr und die Möglichkeit einer freiwilligen Verpflichtung näher zu bringen.
Wir haben trotzdem das Wehrdienstmodernisierungsgesetz heute abgelehnt. Weil in diesem Gesetz schon skizziert wird, dass der nächste Schritt, falls sich nicht genügend Freiwillige melden, die Wiedereinsetzung der 2011 ausgesetzten Wehrpflicht alten Typs wäre. Das Gesetz verpflichtet nur Männer zur Musterung und blickt allein auf den Wehrdienst, nicht auf die vielen anderen, für unsere gesamtgesellschaftliche Resilienz ebenfalls bedeutsamen gesellschaftlichen Dienste. Falls sich nicht ausreichend Freiwillige melden, will man eine Bedarfswehrpflicht, die dann im Losverfahren eine Zufallspflicht nur für junge Männer wäre.
Die Wehrpflicht alten Typs sieht auch ausdrücklich den Dienst an der Waffe als Regelfall und die richtigerweise grundgesetzlich als Grundrecht garantierte Kriegsdienstverweigerung als nur aus Gewissensgründen eigens zu begründende Ausnahme vor. Wir sind uns bewusst, dass in der gegenwärtigen Bedrohungslage eine Pflicht zum Wehrdienst nicht ausgeschlossen werden kann, aber wenn eine Dienstpflicht nötig wäre, dann müsste sie nicht nur für Männer gelten und nicht wieder ein gesondertes Verfahren für die Verweigerung beinhalten. Stattdessen sollte es die freie Wahl geben, ob dieser Dienst bei der Bundeswehr, im Bevölkerungs- und Katastrophenschutz oder im sozialen oder ökologischen Bereich geleistet wird: Ein Gesellschaftsjahr für alle.
Wir sind uns bewusst, dass eine solche Debatte über gesellschaftliche
Verantwortung kontrovers ist. Sie berührt individuelle Freiheit und verlangt nach sorgfältiger politischer Abwägung und breitem gesellschaftlichem Konsens, weil auch eine Änderung des Grundgesetzes nötig wäre. Doch gerade in Zeiten, in denen unsere Demokratie von innen wie außen bedroht ist, brauchen wir eine gemeinsame Antwort. Ein verpflichtendes Gesellschaftsjahr könnte ein Gemeinschaftsprojekt für die Freiheit, die Demokratie und die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft werden. Wir sind überzeugt: Die Investition in Zusammenhalt, Resilienz und Demokratie würde sich lohnen.
Das heute zur Abstimmung vorgelegte Wehrdienstmodernisierungsgesetz greift hier viel zu kurz.
Deshalb haben wir das Wehrdienstmodernisierungsgesetz der Bundesregierung abgelehnt und dem Entschließungsantrag der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen zugestimmt, in dem die Einsetzung einer Enquete-Kommission für gesamtgesellschaftliche Resilienz gefordert wird. Ziel ist ein ergebnisoffener Diskussionsprozess darüber, wie militärische und zivile Dienstformen – freiwillige, hybride und verpflichtende – sowie weitere Formen gesellschaftlicher Mitwirkung zur Gesamtverteidigung und Resilienz beitragen können. Wichtig ist uns, dass die Erlangung gesellschaftlicher Resilienz nicht nur eine Aufgabe der jungen Generation, sondern aller Generationen ist. In die Arbeit einer solchen Enquete- Kommission sollen alle Beteiligten und Betroffenen, insbesondere und maßgeblich junge Menschen, einbezogen werden.
Berlin, 05.12.2025
Sylvia Rietenberg, MdB