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14.11.2025

Aktiv gegen die Abschaffung der Wahlfreiheit des Auszahlungsweges bei Sozialleistungen

„Der Zugang zu exis­tenz­si­chern­den Leis­tun­gen ist ein Men­schen­recht, kein büro­kra­ti­sches Pri­vi­leg für Men­schen mit Bank­karte.“

erklärt Syl­via Rie­ten­berg, Mit­glied des Bun­des­ta­ges

im Rück­blick auf das par­la­men­ta­ri­sche Ver­fah­ren zur Ände­rung des § 47 SGB I.


Am 13. Novem­ber 2025 hat der Deut­sche Bun­des­tag das SGB VI-Anpas­sungs­ge­setz mit den Stim­men der Regie­rungs­frak­tio­nen beschlos­sen. Damit wurde auch die bis­he­rige Wahl­frei­heit beim Aus­zah­lungs­weg von Sozi­al­leis­tun­gen nach § 47 SGB I auf­ge­ho­ben. Künf­tig gilt grund­sätz­lich nur noch die Über­wei­sung auf ein Konto. Für Men­schen ohne Bank­konto, das betrifft ins­be­son­dere woh­nungs­lose und akut arme Men­schen, bedeu­tet diese Ände­rung eine spür­bare Ver­schlech­te­rung ihres Zugangs zum Exis­tenz­mi­ni­mum.


Hintergrund: Warum es überhaupt zu dieser Änderung kam

Aus­gangs­punkt war die Ent­schei­dung der Deut­schen Post­bank, das bis­her genutzte Ver­fah­ren der Zah­lungs­an­wei­sung zur Ver­rech­nung (ZzV) zum 31. Dezem­ber 2025 ein­zu­stel­len. Die­ses Ver­fah­ren ermög­lichte es Men­schen ohne eige­nes Konto, sich Sozi­al­leis­tun­gen bar aus­zah­len zu las­sen.

Im Rah­men eines Geset­zes­ver­fah­rens mit ver­schie­dens­ten Anpas­sun­gen in einer Viel­zahl ver­schie­de­ner Gesetze (ein soge­nann­tes Omni­bus­ge­setz) wurde die Ein­stel­lung des ZzV-Ver­fah­rens als Grund genannt um eine grund­sätz­li­che Ände­rung der Wahl­frei­heit zum Aus­zah­lungs­weg von Sozi­al­leis­tun­gen zu beschlie­ßen. Aus unse­rer Sicht wäre es trotz­dem es tech­nisch und orga­ni­sa­to­risch pro­blem­los mög­lich gewe­sen, alter­na­tive Aus­zah­lungs­wege fort­zu­füh­ren, etwa Bar­aus­zah­lun­gen in Job­cen­tern, Scheck­ver­fah­ren oder Bar­code-/Scan­code-Modelle. Statt diese Wege zu sichern, ent­schied sich die Bun­des­re­gie­rung jedoch, die Wahl­frei­heit voll­stän­dig zu strei­chen und Alter­na­ti­ven nur mit einer Här­te­fall­re­ge­lung zu ermög­li­chen. Die Betrof­fe­nen ohne Konto sol­len zukünf­tig nach­wei­sen, dass es ihnen ohne eige­nes Ver­schul­den nicht mög­lich ist, ein Konto zu eröff­nen. Statt Wahl­frei­heit haben die Men­schen nun zusätz­li­chen büro­kra­ti­schen Auf­wand auf ihrer Seite.


Der parlamentarische Verlauf

Erste Warnungen aus der Praxis und Parlamentsberatung

Bereits in der Ent­wurfs­phase des Geset­zes gab es kri­ti­sche Hin­weise von der BAG Woh­nungs­lo­sen­hilfe e.V. Zugleich kam es zu erheb­li­chen Irri­ta­tio­nen in der Ver­wal­tung. Ein­zelne Job­cen­ter kün­dig­ten vor­schnell an, Bar­aus­zah­lun­gen bereits im Herbst ein­zu­stel­len, statt zum von der Regie­rung geplan­ten Datum am 01.01.2026. Wir haben die­ses Vor­ge­hen kri­tisch gegen­über dem Bun­des­ar­beits­mi­nis­te­rium adres­siert und die dro­hen­den Aus­wir­kun­gen auf die Betrof­fe­nen deut­lich gemacht. Auch haben wir mit einer schrift­li­chen Frage die Betrof­fe­nen­zah­len erfragt.

Im Aus­schuss für Arbeit und Sozia­les wurde die Pro­ble­ma­tik aus­führ­lich dis­ku­tiert. Dort machte ver­suchte Syl­via Rie­ten­berg deut­lich zu machen, dass die geplante Här­te­fall­re­ge­lung kaum rea­lis­tisch ange­wen­det wer­den kann. Men­schen ohne Konto soll­ten künf­tig nach­wei­sen, dass ihnen die Kon­to­er­öff­nung „ohne eige­nes Ver­schul­den“ nicht mög­lich war. Gerade on Obdach­lo­sig­keit betrof­fene Men­schen kön­nen aber schon Pro­bleme mit feh­len­den Doku­men­ten, digi­ta­len Ident-Ver­fah­ren und ähn­li­chem schei­tern.


Öffentliche Anhörung: Deutliche Kritik unseres Fachexperten

In der Anhö­rung bestä­tigte der von uns ein­ge­la­dene Experte der BAG Woh­nungs­lo­sen­hilfe e.V. unsere Kri­tik: Die Abschaf­fung der Wahl­frei­heit trifft beson­ders ver­letz­li­che Per­so­nen­grup­pen hart.

„Ein Vier­tel der Men­schen in der Woh­nungs­lo­sen­hilfe hat kein Konto – nicht, weil sie es nicht wol­len, son­dern weil sie es fak­tisch nicht kön­nen.“

Mar­tin Kositza, BAG Woh­nungs­lo­sen­hilfe e.V.

So führte er aus, dass rund 25 Pro­zent der Men­schen in der Woh­nungs­lo­sen­hilfe kein Konto haben. Er ver­wies auf zahl­rei­che reale Hür­den, wie feh­lende Aus­weis­pa­piere, tech­ni­sche Bar­rie­ren beim Video-Ident-Ver­fah­ren, Ableh­nun­gen durch Ban­ken oder feh­lende End­ge­räte. Alter­na­tive Aus­zah­lungs­mo­delle seien hin­ge­gen pra­xis­er­probt und nied­rig­schwel­lig.


Der Änderungsantrag der Grünen

Um die Wahl­frei­heit zu erhal­ten, hat Syl­via Rie­ten­berg für die grüne Bun­des­tags­frak­tion einen Ände­rungs­an­trag ein­ge­bracht. Der Vor­schlag sah vor, den § 47 SGB I und somit die Wahl­frei­heit des Aus­zah­lungs­we­ges unver­än­dert zu las­sen und statt­des­sen zu prü­fen, wie eine bun­des­weit ein­heit­li­che, gebüh­ren­freie Bar­geld­aus­zah­lung für Men­schen ohne Konto gesi­chert wer­den kann.

Die Regie­rungs­frak­tio­nen haben die­sen Antrag im Aus­schuss jedoch abge­lehnt.


Verabschiedung des Gesetzes

Am 06. Novem­ber 2025 wurde das SGB VI-Anpas­sungs­ge­setz schließ­lich im Ple­num ange­nom­men. Der § 47 SGB I wird damit so geän­dert, dass Sozi­al­leis­tun­gen künf­tig grund­sätz­lich nur noch auf ein Konto aus­ge­zahlt wer­den. Die vor­ge­se­hene Här­te­fall­re­ge­lung mit höhe­rem Auf­wand für die Betrof­fe­nen bleibt bestehen.

Für viele woh­nungs­lose Men­schen bedeu­tet das: Die Hür­den, um ihr Exis­tenz­mi­ni­mum zu sichern, wer­den stei­gen.


Fazit

Der Zugang zu exis­tenz­si­chern­den Leis­tun­gen darf nicht vom Besitz eines Bank­kon­tos abhän­gen. Die Ent­schei­dung des Bun­des­ta­ges ist ein Rück­schritt für soziale Teil­habe und berührt grund­le­gende Fra­gen der Men­schen­würde. Wir wer­den wei­ter­hin dafür arbei­ten, dass in der Gesetz­ge­bung und der Ver­wal­tungs­pra­xis rea­lis­ti­sche und men­schen­wür­dige Lösun­gen für kon­to­lose Leis­tungs­be­rech­tigte gefun­den wer­den.

Alter­na­tive Aus­zah­lungs­wege müs­sen erhal­ten und wei­ter­ent­wi­ckelt wer­den, und sie dür­fen nicht aus rein ver­wal­tungs­tech­ni­schen Grün­den weg­fal­len.


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